Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde
Liebe Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter
Liebe Gäste
Mit diesem Plakat – ein Geschenk der SP Schweiz – begründeten wir am 17. August 2012 die SP Appenzell Innerrhoden. Mutig starteten wir als Minderheit unser linkes Projekt auf hartem, konservativem Pflaster am Alpstein. «Mehr zu wollen, provoziert das gemütliche Mittelmass». Mit dieser Botschaft unserer Mitbegründerin Jacqueline Fehr – damals Vizepräsidentin der SP Schweiz und mittlerweile Zürcher Regierungsrätin – haben wir vor zehn Jahren Geschichte geschrieben: Der letzte weisse Fleck der Schweiz wurde rot.
Wir haben bald festgestellt: Niemand hat auf uns gewartet. Wir stiessen in unserem Kanton auf eine politische Festung. Vielleicht waren wir auch der Zeit etwas voraus, wie unsere beiden Initiativen «Wohnen für alle» und «Versorgungsregion Säntis im Gesundheitswesen» zeigen. Beide wurden von der Standeskommission, vom Grossen Rat und an der Landsgemeinde deutlich abgelehnt. Wichtige Elemente davon – und dies ist für uns entscheidend – wurden jedoch später umgesetzt.
Teilweise war der Widerstand uns gegenüber offen. Teilweise kam uns eine Front des Schweigens und der Ignoranz entgegen. Besonders befremdend bleiben anonyme Reaktionen. Dies in einem Kanton, der offene Debatten und die Landsgemeinde als Urform der direkten Demokratie hochhält.
Durchhaltewillen und Widerstandsfähigkeit waren gefordert. Wir trafen in Innerrhoden zwar auf politische Mauern. Dennoch sind die Türen für unser politisches Wirken weit offen. Wir haben die Chance, mit Aktionen auf der Strasse, mit unseren Abstimmungs- und Wahlkampagnen und mit unserer Präsenz in der Öffentlichkeit in unserem Kanton die politische Kultur mitzugestalten. Dies gelingt uns auch dank der Vernetzung mit der SP Schweiz, die uns immer stark unterstützt; und auch dank der Zusammenarbeit mit Medienvertreterinnen und -vertretern, die uns seit unserer Gründung offen begegnen.
Steter Tropfen höhlt den Stein. Über die Jahre spürten wir in der breiten Bevölkerung, in den politischen Parteien und Verbänden und in der Regierung eine deutlich verbesserte Akzeptanz. Das macht Mut. Wir sind stolz, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu sein. Wir sind überzeugt: Die SP braucht es auch auf hier dem Land, wo wir eine Minderheit sind. Unsere Kantonalpartei steht – wie der ehemalige SP-Präsident Christian Levrat erwähnt hat – für das Verbindende im von der SVP beschworenen Graben zwischen linken Städten und konservativen Landgebieten.
Glücklicherweise können wir in der Schweiz ohne kriegerische Bedrohungen leben. Dies im Unterschied zu Menschen in vielen Kriegsländern wie unsere ukrainischen Gäste, die in ihrer Heimat wegen Putins Angriffskrieg unvorstellbares Leid erfahren. Und wir sind privilegiert. Kontroverse Debatten und freie Meinungsäusserungen gehören zur demokratischen Kultur unseres Landes, was unser politisches Wirken und unser Schwimmen gegen den Strom massgebend erleichtert.
Dies im krassen Kontrast zu unbeugsamen Kämpfern, die unter Lebensgefahr für eine gerechte Gesellschaft einstehen. Wie Alexej Nawalny – « Putins Staatsfeind Nummer 1» – der durch einen Giftanschlag beseitigt werden sollte und nun in Pokrow im härtesten Straflager Russlands festsitzt. Oder Martin Luther King, der für seinen gewaltfreien Kampf gegen Unterdrückung und Rassentrennung ermordet wurde.
Wir würdigen mutige Frauen, die für freie Meinungsäusserung und somit für eine gerechtere, freiere und widerstandsfähigere Gesellschaft kämpfen und damit ihr Leben riskieren: wie Anna Politkowskaja, die ermordet wurde, weil in Putins Logik auf Kritik der Tod folgt. Oder Daphne Caruana Galizia aus Malta, die wegen ihres offenen Widerstands gegen Korruption und Steuerflucht einem gezielten Sprengstoffanschlag zum Opfer fiel.
Und wir zollen unerschrockenen Menschen wie dem italienischen Autor und Journalist Roberto Saviano Respekt. Er lebt seit seinen mutigen Enthüllungen über die Unterwelt der Mafia unter ständigem Polizeischutz. Trotzdem hält er der Gesellschaft unbeirrt den Spiegel vor und brandmarkt weiterhin Zustände, in denen Mord, Korruption, Lüge und Denunziation allgegenwärtig sind.
Symbol dieses Widerstandes ist diese «No-Cap-Tomatensauce», die wir euch, liebe Gäste, als Jubiläumsgeschenk überreichen und die ihr auch anschliessend beim Spaghettiessen geniessen könnt. Sie ist ein faires Produkt der «Revolta della Dignita» – der Revolte der Würde. «No Cap» steht für «no caporalto», was ohne illegale Anwerbung von Landarbeitern bedeutet.
Gemeinsam mit süditalienischen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gründete der Politaktivist Yvan Sagnet trotz massiver Bedrohung durch Tomatengrossplantagenbesitzer diese politische Kampagne. Sie steht für menschenwürdige Perspektiven und Rechte verzweifelter Migrantinnen und Migranten, die auf süditalienischen Tomatenplantagen versklavt und unter menschgenunwürdigen Bedingungen in Ghettos gehalten werden. Milo Rau hat ihre Geschichte im Film «Das neue Evangelium» inszeniert, den wir im Frühjahr in Appenzell vorgeführt haben.
Ihre Botschaft lautet hoffnungsvoll:
«Nicht der Verzweifelte ist der Feind, sondern wer Verzweiflung sät.
Der Feind ist nicht der Flüchtende, sondern es ist die Gesellschaft,
die Menschen zur Flucht zwingt.
Es wird nicht leicht werden. Wir werden angegriffen, beleidigt und verleumdet.
Sie werden sagen, dass unser Kampf ein sinnloser Kampf ist.
Wenn wir nicht heute kämpfen, wann dann?
Wenn wir nicht für uns kämpfen, wer wird an unserer Stelle für unsere Rechte kämpfen?
Diese Revolte ist die Revolte der Würde, ist der Aufstand unserer heutigen Zeit.
Denn diejenigen, die für eine echte Würde kämpfen, kämpfen für das Wohlergehen der
gesamten Menschheit. Wir werden gewinnen.»
Solche Statements machen uns Mut, weiterhin unserem politischen Kompass treu zu bleiben und für eine soziale, gerechte und ökologische Gesellschaft Partei zu ergreifen. Wie schon während der Corona-Krise bringen wir uns weiterhin konstruktiv-kritisch ein.
An unserem heutigen Parteitag haben wir eine Resolution für eine sichere, bezahlbare und umweltfreundliche Energieversorgung in unserem Kanton verabschiedet. Erstens wollen wir mit Sparmassnahmen zur Energieversorgung beitragen; zweitens Gebäudesanierungen und Projekte für erneuerbare Energien wie Solaranlagen und den Windpark Oberegg fördern; und drittens mit verstärkter politischer Kontrolle die Energieversorgung der Axpo als Pfeiler eines starken Service public sicherstellen.
In Zeiten ständig steigender Lebenshaltungskosten kämpfen wir für höhere Löhne und Renten und erarbeiten in Zusammenarbeit mit der SP Schweiz konkrete Vorschläge zur Entlastung der Haushalte – zum Beispiel mit bezahlbaren Wohnkosten, Krankenkassenprämien und Kita-Plätzen.
Wir stehen für eine gerechte Steuerpolitik und sagen «Nein» zu weiteren Steuerprivilegien für Konzerne und den Finanzsektor auf Kosten der breiten Bevölkerung. Wir bekämpfen die Logik, Arbeit, Renten und Konsum steuerlich laufend zu belasten und gleichzeitig das Kapital zu entlasten.
In einem weiteren Schwerpunkt befassen wir uns mit der Überwindung der «Festung Europa». Die Flüchtlingspolitik auf unserem Kontinent ist von Gewalt geprägt: Tote im Mittelmeer, Misshandlungen durch Pushbacks, Menschen, die als politische Waffe instrumentalisiert werden, und die geschürte Angst vor einer «unkontrollierten Massenmigration». Wir befassen uns zusammen mit Gerald Knaus, einem international anerkannten Experten bei Themen «Flucht, Migration und Menschenrechte», an unserem «Appenzell diskutiert» vom 31. März 2023 mit menschenwürdigen Grenzkontrollen und einer menschenwürdigen Migrationspolitik.
Doch wir wollen mehr. Wir wollen öffentlich mit mehreren Personen auftreten und uns in politischen Ämtern einbringen. Wir sind alle aufgefordert, unsere Mitgliederbasis zu vergrössern – im Wissen, dass dies in unserem Kanton besonders anspruchsvoll ist. Zudem braucht es Voraussetzungen im Kanton. Wir setzen uns für das Proporzwahlsystem ein, damit in Innerrhoden auch Minderheiten eine faire Wahlchance haben.
Liebe Anwesende
Ich danke euch für eure Begleitung und Unterstützung auf unserem steinigen Weg. Gemeinsam können wir unseren Kanton, die Schweiz, die Welt gerechter, sozialer, ökologischer und lebenswerter machen. Wenn wir nicht heute kämpfen, wann dann?
Wir ergreifen Partei für eine soziale und gerechte Gesellschaft.
Wir ergreifen Partei für unseren Planeten.
Wir ergreifen Partei für alle statt nur für wenige.
Dafür brauchen wir Mut, Geduld und Tatkraft – und gemeinsam werden wir gewinnen.
Vielen Dank.