Gedanken der SP Appenzell Innerrhoden (SP AI) zum Jahreswechsel

Die Standeskommission beauftragte die Historikerin und Autorin Iris Blum mit der historischen Aufarbeitung der administrativen Zwangsmassnahmen von 1930 bis 1981 in unserem Kanton. In dieser Zeitspanne wurden besonders ledige Mütter und ihre unehelichen Kinder, junge wie auch ältere Arbeitslose und geschiedene Männer, Menschen in schwierigen Familien- und unsicheren Arbeitsverhältnissen oder Angehörige der jenischen Gemeinschaft auf rechtlich fraglicher Grundlage in Arbeitsanstalten versorgt. Gemeinsames Merkmal dieser aus der Mitte unserer Gesellschaft ausgegrenzten und abgeschobenen Menschen war ihre Armut. Wahrscheinlich sind auch Kinder und Jugendliche auf dem Bild der Schule Kau von 1900 davon betroffen.

Schule Kau im Jahre 1900    Bild: E. Manser Photographie, Appenzell

Die Standeskommission anerkennt das erlittene Unrecht dieser Menschen. Als Beitrag zur Wiedergutmachung dürfen Betroffene einen einmaligen Solidaritätsbeitrag von 25'000 Franken aus dem nationalen Solidaritätsfonds entgegennehmen, in den auch Innerrhoden einzahlte. Einige von diesem Unrecht Betroffene haben die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen mit dem Landammann und zur Aufarbeitung ihrer Lebensgeschichte die Unterstützung des Landesarchivars in Anspruch genommen. Diese Zeichen der Anerkennung und Schritte zur Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts werten wir als wichtigen Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Diese Aufarbeitung ist ein notwendiger Beitrag gegen das Vergessen: indem wir dazu stehen, was war und weshalb es so war; es denen vermitteln, die es noch nicht wissen und darauf hinweisen, worauf es auch künftig ankommt.

Auch in der heutigen Zeit haben Armutsbetroffene in unserem Land wenig Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Armut ist gezeichnet durch Angst, Ausschluss, Wegfall von Lebenschancen, Perspektivlosigkeit und Krankheit. Finanzielle Schwierigkeiten führen fast zwangsläufig zu einer Unterversorgung in vielen Lebensbereichen - etwa beim Wohnen, im Gesundheits-, Freizeit- und Bildungsbereich. Im Jahr 2022 war gemäss Bundesamt für Statistik 8,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung von Armut betroffen. Das sind 702'000 Menschen – darunter rund 100'000 Kinder. Zudem lebten 1'340'000 Personen in prekären finanziellen Verhältnissen.

Der Satz aus dem Volksmund, jeder sei seines Glückes Schmied, gilt nur bedingt. Viel entscheidender sind die Lebensbedingungen, in die Menschen geboren werden. Wer hierzulande in Armut gerät, kann ihr nur schwer entfliehen. Gemäss OECD braucht eine Familie in unserem Land durchschnittlich sechs Generationen um Armut hinter sich zu lassen.

Wenn wir für mehr Solidarität und Gerechtigkeit einstehen und das Versprechen einhalten, Lehren aus dem eingangs beschriebenen entwürdigenden Umgang mit Menschen am Rande unserer Gesellschaft zu ziehen, müssen wir die Armut und nicht die Armutsbetroffenen bekämpfen. Es ist unsere Aufgabe, für gute Lebensbedingungen für alle zu sorgen. Gerade in aktuellen Zeiten der Budgetdebatten, besteht jedoch die Gefahr, funktionierende Elemente und soziale Aufgaben unseres Staates dem Sparen zu opfern. Es ist beispielsweise für Menschen, die in unserem Kanton auf eine Übergangsbetreuung angewiesen sind und sich keine teuren Rehabilitationszentren leisten können, demütigend, wenn die Kurz- und Übergangspflege (KÜP) als Luxusangebot bezeichnet oder für die vollständige Streichung des Kantonsbeitrags plädiert wird. Erfreulicherweise hat der Grosse Rat – entgegen dieser unsolidarischen Argumentation – der Weiterführung dieses wichtigen Innerrhoder Betreuungsangebotes zugestimmt.

Armut ist auch ein strukturelles Problem. Solange einige Wenige Profite auf Kosten anderer anhäufen können, wird sich wenig ändern. Wenn wir für alle ein Leben in Würde garantieren wollen, müssen wir unser Zusammenleben gerechter organisieren. Deshalb ergreift die SP AI auch im kommenden Jahr Partei für mehr Solidarität und Gerechtigkeit und wünscht allen ein erfolgreiches 2025.

Das Co-Präsidium der SP AI
Daniela Mittelholzer und Martin Pfister

15. Jan 2025