Sehr geehrter Herr Landammann
Sehr geehrte Mitglieder der Standeskommission
Wir bedanken uns für die Möglichkeit einer Stellungnahme zur Totalrevision der Kantonsverfassung (KV), die wir gerne wie folgt wahrnehmen:
1 Grundsätzliche Bemerkungen
Die Sozialdemokratische Partei Appenzell Innerrhoden (SP AI) nahm den Beschluss der kantonalen Urnenabstimmung vom 9. Mai 2021, bei der anstehenden Totalrevision der Kantonsverfassung nur redaktionelle Anpassungen vorzunehmen, zur Kenntnis. Für die SP AI ist dieser Verzicht auf erhebliche materielle Änderungen eine verpasste Chance. Die SP AI plädierte im Vorfeld dieser Abstimmung für eine breit abgestützte von einem Verfassungsrat begleitete redaktionelle und inhaltliche Totalrevision.
Der vorliegende Entwurf der überarbeiteten Verfassung enthält allerdings nebst sinnvollen und wichtigen redaktionellen Anpassungen auch inhaltliche Änderungen (erläuternder Bericht der Standeskommission Pkt. 6, Seite 9ff.). Diese wurden von der Standeskommission auf Grund von Mängeln der geltenden Verfassung vorgenommen. Vom gleichen Recht Gebrauch machend, beantragt die SP AI auf Grund festgestellter Mängel im vorliegenden Verfassungsentwurf ebenfalls folgende inhaltliche Anpassungen.
2 Stellungnahme zu einzelnen Bestimmungen
Art. 32 Wahl Ständerat
Aus Sicht der SP AI ist das Wahlverfahren des Ständerats zu überarbeiten. Die Ständeratswahl, deren Durchführung in der Hoheit der Kantone liegt, soll im Rahmen der Gesamterneuerungswahlen des Nationalrats an der Urne erfolgen. Eine Urnenwahl ist gerechter. Sie ermöglicht im Unterschied zur Landsgemeinde einer viel grösseren Anzahl Stimmberechtigten die Teilnahme und das Stimmgeheimnis wird gewahrt. Bei einer Wahl des Ständerats an der Landsgemeinde entsteht eine etwa halbjährige Vakanz im Nationalrat, falls das bisherige Nationalratsmitglied in den Ständerat gewählt wird. Mit der Wahl an der Urne im Rahmen der nationalen Wahlen könnte diese lange Vakanz verhindert werden. Zudem ist es im Rahmen der nationalen Wahlkampagne eher möglich, eine Gegenkandidatur aufzubauen und einer wiederkandidierenden Vertretung im Ständerat gegenüberzustellen.
Art. 34 Wahlen in den Grossen Rat
Der im Verfassungsentwurf inhaltlich neu gefasste Art. 34 Abs. 3 zementiert mit der Möglichkeit zur Bildung von Unterwahlkreisen das Majorzwahlverfahren. Dieser systemerhaltenden Logik folgt auch die Standeskommission in ihrer Begründung, am Majorzwahlsystem festzuhalten (erläuternder Bericht der Standeskommission Seiten 29+30). Die SP AI bezeichnet dies als gravierenden Mangel im vorliegenden Verfassungsentwurf. Für die SP AI bringen die beiden grossen Bezirke Appenzell und Schwende-Rüte gerade beste Voraussetzungen zur Einführung des Proporzwahlsystems mit.
Wenn im Art. 34 mit der Neufassung des Absatzes 3 inhaltliche Anpassungen vorgenommen werden können, beantragt die SP AI ebenfalls inhaltliche Änderungen. Die SP AI fordert die Streichung dieses neu gefassten Absatzes 3. Sie plädiert als sinnvollere Änderung für die Einführung des Proporzwahlsystems in den beiden grossen Bezirken Appenzell und Schwende-Rüte.
Dadurch haben politische Minderheiten fairere Wahlchancen. Die Bevölkerung wird wirklichkeitsgetreuer und gerechter im Wahlresultat und in der Zusammensetzung des Grossen Rats abgebildet. Zudem wird die Bedeutung der politischen Parteien, Verbände und Gruppierungen gestärkt. Ihre politischen Programme erhalten mehr Gewicht. Dies stärkt auch die Stellung des Parlaments. Proporzwahlen müssen in einer Urnenwahl durchgeführt werden. Somit wird im Unterschied zu den Wahlen an den Bezirksgemeinden einer viel grösseren Anzahl Stimmberechtigten die Teilnahme ermöglicht und das Stimmgeheimnis wird gewahrt. Diese zeitgemässen, Demokratie stärkenden Argumente überwiegen den im erläuternden Bericht der Standeskommission (Seite 30) angeführten Erhalt von Innerrhoder Tradition und Identität.
Die SP AI hat an ihrem Parteitag 2017 ein Positionspapier zum Proporzwahlsystem verabschiedet: https://sp-ai.ch/sites/sp-ai.ch/files/documents/positionspapier_sp_ai_wahlsystem.pdf. Darin sind unter Pkt. 2.3 weitere Vorteile des Proporzwahlverfahrens detailliert aufgelistet.
Zudem weist die Standeskommission in ihrem erläuternden Bericht (Seite 29) auf das Bundesgericht hin, welches in seiner Rechtsprechung grosses Gewicht auf das Prinzip der Erfolgswertgleichheit legt. Diese ist eingehalten, wenn jede Stimme im Ergebnis gleich berücksichtigt wird, was nur bei Proporzwahlen gewährleistet wird.
F.4 Feuerschaugemeinde
Es ist nicht sinnvoll, die Feuerschaugemeinde neu in der Kantonsverfassung auf der Ebene der Bezirke und Gemeinden (Kapitel F) aufzuführen. Diese Spezialgemeinde erfüllt zwar u.a. auch wichtige staatliche Aufgaben. Aus Sicht der SP AI ist es jedoch aus demokratiepolitischer Sicht nicht sinnvoll, dass ein eingeschränkter Teil der Innerrhoder Stimmbevölkerung an der Dunke bedeutende Beschlüsse fasst, welche grossen Einfluss auf den gesamten Kanton haben. Im Jahr 2022 hat beispielsweise an der Dunkeversammlung ein geographisch eingeschränkter Kreis von Stimmberechtigten mit dem Teilzonenplan «Hintere Rüti» eine Industrie- und Gewerbezone beschlossen. In ihrer Tragweite hat dieser Entscheid durchaus das Potential einer staatlichen Aufgabe. Aus Sicht der SP AI gehören solche Kompetenzen an die Landsgemeinde oder an die Bezirksgemeinden in einem Verbund der Bezirke des Inneren Landes. Die SP AI beantragt entsprechende rechtliche Anpassungen in der Neufassung der Kantonsverfassung und der entsprechenden Gesetzgebung.
Es stellt sich dabei auch die Frage, ob die Feuerschaugemeinde nur noch als technische Betriebe geführt werden sollte und die bisherigen Aufgaben wie bereits oben aufgeführt auf die Bezirke bzw. den Kanton zu übertragen werden. Die Feuerschaugemeinde könnte im Verfassungsentwurf im Art. 13 Absatz 4 statt Absatz 3 aufgeführt werden. Dadurch können die Artikel 63 und 64 im Kapitel F weggelassen werden.
Wir danken Ihnen für die Berücksichtigung unserer Stellungnahme und bitten Sie, unsere festgestellten Mängel und unsere Anliegen bei der Überarbeitung der Vorlage zu berücksichtigen.
Freundliche Grüsse
Sozialdemokratische Partei Appenzell Innerrhoden (SP AI)
Martin Pfister Daniela Mittelholzer
Präsident Vizepräsidentin und Co-Parteisekretärin