Rede von Daniela Mittelholzer (Teil 1) und Martin Pfister (Teil 2), Co-Präsidium SP AI am 13. ordentlichen Parteitag vom 7. November 2025

Teil 1

Liebe Parteimitglieder
liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde
geschätzte Anwesende

Demokratie ist kein Zustand – sie ist ein ständiger Prozess. Sie entsteht immer wieder neu: im Gespräch, in der Auseinandersetzung, im Zuhören, im Vertrauen. Und manchmal auch im Mut, die eigenen Strukturen zu hinterfragen. Darum waren wir in den letzten Monaten im intensiven Austausch mit anderen Parteien und Gruppieren, um über solche Strukturen und mögliche Verbesserungen nachzudenken. Wir sind davon überzeugt: Demokratie lebt davon, dass auch Stimmen resp. Meinungen vertreten werden, die nicht der Mehrheit angehören – dass nicht nur die lauten Stimmen, sondern auch die leiseren Stimmen gehört werden. Und dafür steht der Proporz.

Proporz ist für uns aber mehr als ein Wahlverfahren – es ist eine Haltung: dass die Vielfalt unserer Gesellschaft abgebildet wird. Wir wissen: Das heutige Majorzsystem hat eine lange Tradition in unserem Kanton. Aber jede Tradition braucht gelegentlich einen neuen Blick. Denn Gesellschaft verändert sich, Lebensformen und -realtäten wandeln sich – und mit ihnen die Art, wie wir politisch teilhaben. Wenn wir also über den Proporz sprechen, dann sprechen wir auch über Vertrauen – Vertrauen in unsere Institutionen, in gerechte Vertretung, in die gemeinsame Suche nach Lösungen. Und dieses Vertrauen entsteht nicht nur an der Urne, sondern auch in der Art, wie wir uns informieren, wie wir unsere Meinung bilden.

In einer Zeit, in der gezielte Desinformation, Algorithmen und künstlich erzeugte Empörung unsere Wahrnehmung beeinflussen, braucht es Orte und Institutionen, die unabhängig, verlässlich und sachlich informieren. Denn Demokratie lebt von mündigen Bürgerinnen und Bürgern – und die brauchen Zugang zu seriöser, vielfältiger Information. Umso besorgniserregender ist es, dass wir schon im März über die sogenannte Anti-SRG-Initiative abstimmen werden – eine Initiative, die unsere öffentlichen Medien massiv schwächen will. Internationale Beispiele zeigen, wohin das führt: In Ländern, in denen öffentliche Medien abgebaut wurden, haben Konzerne und Milliardäre die Deutungshoheit übernommen. Was bleibt, sind seichte Unterhaltung und gezielte Propaganda. Gerade in Zeiten von Fake News und Polarisierung sind öffentliche Medien mit fairer und ausgewogener Berichterstattung unverzichtbar. Denn wer die Informationsgrundlage einer Gesellschaft schwächt, schwächt am Ende auch ihre Demokratie. Darum geht es letztlich in allen unseren politischen Bestrebungen – auch in der Diskussion um den Proporz: um Vertrauen, um Transparenz, um Teilhabe. Um eine politische Kultur, die Menschen nicht gegeneinander ausspielt, sondern einbindet.

Der Proporz ist in diesem Sinn kein Bruch mit der Tradition, sondern ihre Weiterentwicklung. Er knüpft an das an, was Appenzell Innerrhoden immer stark gemacht hat: das Miteinander, das Gespräch, das gemeinsame Ringen um Lösungen. Er ist, wenn man so will, institutionalisierte Gesprächskultur.

Geschätzte Anwesende
Wir werden diesen Weg Schritt für Schritt weitergehen – gemeinsam, respektvoll, mit Offenheit. Wir wollen nicht alles umstossen, aber wir wollen, dass sich Demokratie mit der Gesellschaft weiterentwickeln kann. Denn das ist der Kern unserer sozialdemokratischen Idee: Nicht wenige sollen bestimmen, sondern alle sollen teilhaben. Und jede Stimme – jede einzelne – verdient es, gehört zu werden.

Ich danke euch herzlich für euer Engagement und euren Mut, neue Wege zu denken.
Und ich freue mich nun, das Wort an meinen Co-Präsidenten Martin Pfister zu übergeben,
der daran anknüpfen und aufzeigen wird, wie unsere Werte von Gerechtigkeit und Menschenwürde uns auch in anderen Fragen leiten –
hier in Appenzell Innerrhoden, in der Schweiz und darüber hinaus.
Vielen Dank.


Teil 2

Liebe Parteimitglieder,
Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde,
Geschätzte Anwesende

Für Demokratie einstehen bedeutet auch, für Menschenrechte einstehen. Diese grundlegenden, unteilbaren und universellen Rechte schützen unsere Würde. Sie schützen uns vor staatlicher Willkür und umfassen das Recht auf Leben, Freiheit, Bildung und Arbeit. Das Einstehen für Würde ist moralischer Kompass unserer Partei.

Im August dieses Jahres wurde zuhinterst im Onsernonetal den Kriegswirren vom 18.Oktober 1944, bei den «Bagni di Craveggia» am Grenzübergang zu Italien gedacht, die im Kleinen den Irrsinn von Kriegen aufzeigen. Damals verhinderten Schweizer Truppen ein Massaker. Einerseits schickten sie – trotz Forderungen der Faschisten – die völlig ausgehungerten und entkräfteten Partisanenkämpfer aus Italien, die in der Schweiz Schutz suchten, nicht über die Grenze zurück. Andererseits reagierten sie auf militärische Provokationen der Faschisten bedacht und ohne kriegerische Intervention. Zudem trugen Bevölkerung und Behörden mit ihrer Gastfreundschaft, Solidarität und Menschlichkeit zur Rettung ziviler Flüchtlinge und Partisanen bei.

Zum Gedenken an diese Ereignisse wurden im August dieses Jahres bei den «Bagni di Craveggia» – symbolisch für zwei von Faschisten getötete Partisanen und einen schwer Verwundeten - drei goldene Stolpersteine gesetzt. Dies in Anwesenheit von Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss und SP-Regierungsrätin Marina Carobbio. Diese Stolpersteine stehen als Mahnmal gegen das Vergessen. Sie zeigen uns untrennbar mit den kriegerischen Wirren der Gegenwart die Dringlichkeit auf, uns für das humanitäre Völkerrecht und die Würde der Menschen einzusetzen.

Bei der diesjährigen Exkursion der Alpensozis, bei denen wir als SP AI Mitglied sind, zu den «Bagni di Craveggia» hatten wir die einmalige Gelegenheit, mit dem einzigen noch lebenden ehemaligen Soldaten, der diese Kriegswirren bei der Grenzbesetzung erlebt hat, interessante Gespräche zu führen. Dazu mehr unter dem heutigen Traktandum «Varia».

Nun gehe ich auf weitere Konfliktfelder ein, die ebensolche Stolpersteine als Mahnmal für die Achtung der Würde verdienen würden:

Letzte Woche berichtete Maria Aljochina in der ZDF-Talksendung bei Markus Lanz sehr berührend über ihre Erfahrungen mit dem russischen Repressionsapparat als politische Aktivistin und Mitglied von «Pussy Riot». (In prägender Erinnerung ist immer noch unserer denkwürdige Pro-Pussy Riot-Protestaktion am Gründungstag unserer Partei in Appenzell.) Maria Aljochina wurde mehrfach festgenommen, zu 15-tägigen Arreststrafen verurteilt und schliesslich für zwei Jahre in ein Straflager geschickt. Ihre Ausreise ist ihr untersagt gewesen.

Ihre Geschichte gibt uns ein Gefühl dafür, wie unglaublich mutig Oppositionellen in einem Land sind, das mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine – dessen Nennung bereits ein Grund für Folterung und Haft ist – auch die europäische Friedensarchitektur bedroht. Und welches Privileg wir haben, indem wir frei und in Würde unsere Meinungen austauschen können.

Geschätzte Anwesende
Auch der liberale Kapitalismus bedroht bei uns die Würde vieler. Sein Credo der Gewinnoptimierung spaltet unsere Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. So bewegen wir uns immer deutlicher in ein Zeitalter der Extreme. Die Initiative der JUSO, über die wir Ende Monat abstimmen und heute die Parole fassen zeigt, wie sich die Schere zwischen Privilegierten und Benachteiligten dieses Systems immer deutlicher öffnet. Gewinner und Verlierer gibt es auch beim Wohnen – einem Grundrecht und existentiellen Bedürfnis von uns Menschen. Denn wir können nicht nicht wohnen.

Die Mieten sind in unserem Land gegenüber den gesetzlichen Vorgaben 40 Prozent zu hoch. Das ist skandalös, verfassungswidrig und volkswirtschaftlich schädlich. Immobilienfirmen, die immer höhere Renditen erzielen und sich dabei nicht an die gesetzlichen Vorgaben von maximal zwei Prozent Rendite halten, sind Gewinner. Wohnraum wird zu Wertanlagen und zur Gewinnoptimierung zweckentfremdet. In dieser Logik der sozialen Kälte wurde im «Appenzeller Volksfreud» in einem Expertenbeitrag der Immobilienbranchen erklärt, wie Wohneigentum am finanziell gewinnbringendsten weiterverkauft werden kann. Menschen – häufig auch mittelständische Familien mit kleineren Einkommen – sind dabei die Verlierer. 

Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde
In unserem geschätzten Umfeld keine Wohnung mehr zu finden, ist mehr als nur ein Problem fehlender finanzieller Möglichkeiten. Es entsteht ein Gefühl von mangelnder Wertschätzung. Wir fühlen uns in unserer Heimat nicht mehr willkommen.

Das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum ist in unserem Kanton ein Brennpunkt der Politik. Deshalb ergreifen wir Partei für bezahlbares Wohnen. Dazu später mehr bei unseren politischen Schwerpunkten.

Zum Schluss, geschätzte Anwesende
Wir wollen ändern, was uns stört. Wir wollen ein Gesellschaftssystem, das dem guten Leben aller dient, das natürliche Lebensgrundlagen schützt, das Zusammenleben aller in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft fördert – kurz: die Würde des Menschen ins Zentrum stellt. «Aufrecht» ist der Titel des neuen Buchs der albanisch-britischen Philosophin Lea Ypi, in dem sie sich mit dem Leben in Würde in einem Zeitalter der zunehmenden Extreme auseinandersetzt.

Aufrecht – geschätzte Anwesende -  stehen wir ein für Demokratie und Würde und ergreifen Partei für alle, statt für wenige.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Nun wünsche ich uns einen spannenden Parteitag.

08. Nov 2025